ÖROK-Erreichbarkeitsanalyse 2018
Die Erreichbarkeit von überregionalen und regionalen Zentren ist nach wie vor ein wesentliches Maß für die Versorgungsqualität der Bevölkerung mit öffentlichen Einrichtungen und die Zugänglichkeit zu Bildungs- und Qualifizierungsangeboten, Verkehrsinfrastruktur und zum regionalen Arbeitsmarkt. Gleichzeitig ist sie auch ein wesentlicher Faktor für Standortentscheidungen von Unternehmen. Im Wettbewerb als Unternehmens- und Wohnstandort ist die Erreichbarkeit also ein wesentlicher Faktor für die Attraktivität einer Region.
Über längere Zeit betrachtet, dient die Erreichbarkeit als probates Mittel für die Beobachtung von Veränderungen in der Versorgungsqualität sowie zur Bewertung der Wirkung von Maßnahmen in der Raum- und Verkehrsplanung. In diesem Sinne stellen die Erreichbarkeitsverhältnisse eine wesentliche Kenngröße im Zusammenhang mit Planungsaufgaben der Gebietskörperschaften sowie auch für das Monitoring gesetzter Maßnahmen in der Raum- und Verkehrsplanung dar.
Bereits im Jahr 1989 wurden im Rahmen der ÖROK erste Analysen zu Erreichbarkeitsverhältnissen in Österreich im Öffentlichen Verkehr (ÖV) und im Motorisierten Individualverkehr (MIV) durchgeführt (ÖROK-Schriftenreihe Nr. 75), welche in den Jahren 2000 auf Basis von Daten aus 1997/98 (ÖROK-Schriftenreihe Nr. 155) sowie 2007 auf Datenbasis von 2005 (ÖROK-Schriftenreihe Nr. 174) aktualisiert worden sind.
Zwischenzeitlich haben zahlreiche Entwicklungen im Bereich der Verkehrsinfrastruktur, aber auch hinsichtlich der Organisation und Ausrichtung des ÖV stattgefunden, die relevante Veränderungen der Erreichbarkeitsverhältnisse in Österreich mit sich gebracht haben. Ebenso gab es in Bezug auf die Datengrundlagen weitreichende Veränderungen. Das darauf aufbauende Erreichbarkeitsmodell des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie (bmvit) war nun die Basis für neue Auswertungen zur Analyse der Erreichbarkeitsverhältnisse und entsprechender aktueller Fragestellungen für den ÖV und den MIV. Die Modellerstellung erfolgte durch die AustriaTech GmbH im Auftrag des bmvit.
Die vorliegende neue Erreichbarkeitsanalyse 2018 wurde von der Firma Verracon GmbH auf Basis der Daten von 2016 erstellt und inhaltlich im Rahmen der ÖREK-Partnerschaft „Plattform Raumordnung & Verkehr“ begleitet. Dabei erfolgte die Ermittlung der Versorgungsqualität mit zentralen Einrichtungen über den Anteil der Bevölkerung, der die nächstgelegenen regionalen und überregionalen Zentren sowie Bildungseinrichtungen in einem zumutbaren Zeitraum erreichen kann. Als „zumutbarer“ Reisezeitraum wurde – analog zur Studie aus dem Jahr 2007 – ein Schwellenwert für regionale Zentren von 30 Minuten, für überregionale Zentren von 50 Minuten herangezogen.
Zur Methodik
Die Berechnungen erfolgten auf Basis eines 100m-Bevölkerungsraster, der die Verteilung der Bevölkerung mit 570.000 dauerhaft bewohnten Zellen darstellt. Die Ziele sind 194 regionale und 46 überregionale Zentren. Weiters wurden für den Schwerpunkt Bildung 2.461 Bildungseinrichtungen unterschiedlicher Kategorien herangezogen. Die Erreichbarkeit im MIV wurde über das Straßennetz der Graphen-Integrationsplattform (GIP) berechnet. Für den ÖV wurden die Fahrpläne der ARGE ÖVV herangezogen, wobei die Fußwege zu und von den Haltestellen über das GIP-Netz geroutet wurden.
Zusammenfassende Ergebnisse
Dem neuen Erreichbarkeitsmodell zufolge können im MIV 85% der Bevölkerung ein überregionales Zentrum innerhalb von 50 Minuten erreichen, wobei die Werte der Bundesländer zwischen Tirol mit 67% und Wien mit 100% liegen. Regional finden sich niedrige Werte vorwiegend bei inneralpinen Bezirken (Lienz, Tamsweg und Murau) oder Waidhofen an der Thaya im Waldviertel und Jennersdorf im Südburgenland.
Im ÖV ist dieser Erreichbarkeitsgrad mit durchschnittlich 64% deutlich geringer, wobei einige Bundesländer noch niedrigere Werte aufweisen, wie etwa das Burgenland mit 43%, die Steiermark mit 45% und Tirol mit 47%. In 16 Bezirken (14%) ist es nicht möglich, ein überregionales Zentrum innerhalb der Zeitschranke zu erreichen. Diese finden sich in inneralpinen, aber auch in anderen peripheren Gebieten, wie dem Waldviertel, Südburgenland oder dem Außerfern. Alle genannten Werte gelten für einen schulfreien Werktag.
Bei der Versorgung der Bevölkerung mit regionalen Einrichtungen zeigt sich ein deutlich besseres Gesamtbild. 97% der Bevölkerung können im MIV ein regionales Zentrum innerhalb von 30 Minuten erreichen. Den niedrigsten Wert weist wieder Tirol mit 88% auf. Auf Bezirksebene sind die niedrigsten Werte in Lienz (66%), Schwaz (70%) und Spittal an der Drau (71%) zu finden. In 55 Bezirken (47%) gibt es einen Erreichbarkeitsgrad von 100%. Auch die Erreichbarkeit der regionalen Zentren ist im ÖV mit einem Österreichmittel von 72% niedriger. Hier bewegt sich der Wert (ohne Wien) zwischen Kärnten mit 58% und Vorarlberg mit 80%. Regional finden sich die niedrigsten Werte in peripheren, dispers besiedelten Bezirken, wie Jennersdorf (11%), Rohrbach (27%), Deutschlandsberg (29%) oder der Südoststeiermark (30%).
Zentrales Element der Erreichbarkeit im Öffentlichen Verkehr ist die Erschließung, also die Verfügbarkeit von Haltestellen im Wohnumfeld. 9% der Bevölkerung können innerhalb von 1.250m keine Haltestelle mit einer Verbindung zu einem regionalen Zentrum erreichen – ohne Wien sind es 12%. Die geringste Erschließung im ÖV findet sich in der Steiermark mit 19% der Bevölkerung ohne Haltestelle, die beste (ohne Wien) in Vorarlberg, wo nur 2% nicht erschlossen sind. Bezirke mit schlechter Erschließung sind Jennersdorf, Deutschlandsberg und der Bezirk Südoststeiermark sowie Völkermarkt. Die Erschließung hängt in diesen Bezirken ursächlich mit der Siedlungsstruktur zusammen, erschwert wird sie durch eine stark disperse Siedlungsstruktur. Dicht besiedelte Regionen wie etwa das Rheintal und Walgau sind hier begünstigt.
Die Unterschiede bei der mittleren Reisezeit ins nächstgelegene Zentrum zwischen MIV und ÖV sind beträchtlich. Im Schnitt ist die Reisezeit im ÖV ins nächste regionale Zentrum 47%, ins nächste überregionale Zentrum 34% länger, wobei hier beträchtliche regionale Unterschiede bestehen. So ist im Burgenland die mittlere Reisezeit ins nächste regionale Zentrum im ÖV um 100% länger, während sie in Wien 8% kürzer ist. Die Größe der Reisezeitdifferenz und damit die Attraktivität des Öffentlichen Verkehrs hängen stark vom Vorhandensein einer leistungsfähigen Bahnverbindung ab. Entsprechend finden sich regional die ungünstigsten Werte in den Bezirken Oberwart und Güssing im Südburgenland, Rohrbach im Mühlviertel und Reutte im Außerfern.
Die Erreichbarkeit der Bildungseinrichtungen unterscheidet sich deutlich je nach Schultyp. So erreichen 90% der SchülerInnen der Mittelschulen und AHS-Unterstufen die nächstgelegene Schule im ÖV innerhalb von 30 Minuten, während dies bei den SchülerInnen von AHS-Oberstufe und BHS nur zu 83% der Fall ist. Die StudentInnen an Universitäten und FHs können ihre Bildungseinrichtung nur zu 66% innerhalb von 50 Minuten erreichen. Trotz verbesserter räumlicher Abdeckung durch neue Fachhochschulangebote gibt es weiterhin Lücken in der Erreichbarkeit tertiärer Bildungsangebote. Von 14 politischen Bezirken (12%) aus ist keine Universität oder FH im ÖV innerhalb von 50 Minuten erreichbar. Auch die Erreichbarkeit der höheren Schulen ist in peripheren Bezirken zum Teil niedrig. In 15 Bezirken (13%) ist es mehr als der Hälfte der 15 bis 19-Jährigen nicht möglich, im ÖV eine höhere Schule in 30 Minuten zu erreichen.
Ein Vergleich der Erreichbarkeitsanalyse mit den Erreichbarkeitskennwerten aus den Jahren 1995 und 2007, der eine Wirkung von Angebotsänderungen im Verkehrssystem zeigen könnte, war aufgrund der großen methodischen Unterschiede durch die verbesserte und detailliertere Modellberechnung nicht möglich.