Erwerbspotenzial und Erwerbsstruktur als Schlüsselfaktoren regionaler Entwicklung
Die Zusammensetzung der Bevölkerung zählt zu den zentralen Einflussgrößen der regionalen Entwicklung. So bestimmt die Erwerbsbevölkerung, in welchem Umfang Arbeitskräfte für die Wirtschaft und Daseinsvorsorge (wie Padog:innen, Pflegekräfte, Mitarbeiter:innen der kommunalen Verwaltung) zur Verfügung stehen und wirkt damit unmittelbar auf die ökonomische Dynamik einer Region. Das Erwerbspotenzial – definiert als Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 64 Jahren – gibt Aufschluss über das grundsätzlich verfügbare Arbeitskräfteangebot in einer Region. Ergänzend erlauben die Zahl der Erwerbstätigen sowie die Teilzeitquoten Rückschlüsse auf die tatsächliche Nutzung dieses Potenzials und strukturelle Unterschiede der Erwerbsintegration. Zusammen geben diese Indikatoren ein Bild der regionalen Arbeitsmarktlage und verdeutlichen, dass Österreichs Erwerbsbevölkerung zunehmend ungleich verteilt ist.
Ungleich verteiltes Erwerbspotenzial durch Alterung, Geburtenrückgang und Migration
Österreichweit lag die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter am 01.01.2025 bei 6.021.672 Personen, was einem Anteil von 65,5% der Gesamtbevölkerung entspricht. Damit setzt sich ein langfristiger Alterungstrend fort: 2002 betrug der Anteil noch 67,8%, bis 2040 wird ein Rückgang auf etwa 60% erwartet.
In Wien (69,1%) sowie den westlichen Bundesländern Tirol (65,8%), Salzburg (65,4%) und Vorarlberg (65,1%) ist der Anteil vergleichsweise hoch, was auf jüngere Altersstrukturen, höhere Geburtenraten und Zuwanderung zurückzuführen ist. Neben Wien profitieren auch Städte wie Graz (69,8%), Innsbruck (69,2%) oder Linz (67,3%) von Wanderungen, die die Altersstruktur verjüngen und den Arbeitskräftepool stärken. Neben Außenwanderungen spielen hier auch Binnenwanderungen eine zentrale Rolle. So profitieren diese Städte besonders von ihrem umfassenden Beschäftigungs-, aber auch Bildungsangebot, insbesondere im Hochschulbereich. Insgesamt profitieren größere Städte bzw. Stadtregionen von ihrem vielfältigeren Beschäftigungsangebot. In vielen peripheren Regionen, wie etwa im Südburgenland (Bezirk Güssing: 60,2%; Bezirk Jennersdorf: 62,1%), im Waldviertel (Bezirk Gmünd: 60,6%; Bezirk Horn: 61,5%), in der Obersteiermark (Bezirk Murau: 60,9%; Bruck-Mürzzuschlag: 61,0%) oder in Teilen Kärntens (Bezirk Hermagor: 59,4%; Bezirk Spittal an der Drau: 61,6%) zeigt sich hingegen ein gegenläufiges Bild: Die Abwanderung junger Erwachsener, niedrige Geburtenraten und steigende Altersquoten führen zu einem Rückgang des Erwerbspotenzials [Indikator Bevölkerungsentwicklung]. Zuwanderung wirkt hier nur begrenzt ausgleichend, da sie sich stark auf urbane Regionen konzentriert.
Diese demografischen Unterschiede haben sich in den vergangenen Jahrzehnten verstärkt und führen zu einer wachsenden Ungleichverteilung des Arbeitskräfteangebots zwischen dynamischen und strukturschwachen Räumen.
In der folgenden Grafik kann für die Darstellung der erwerbsfähigen Bevölkerung das entsprechende Jahr über den Slider ausgewählt werden.
Arbeitsplätze konzentrieren sich zunehmend in Stadtregionen
Die Zahl der Erwerbstätigen betrug im Jahr 2023 (letztverfügbarer Wert) rund 4,53 Millionen Personen, davon 2,13 Millionen Frauen und 2,40 Millionen Männer. Die Arbeitsplätze konzentrieren sich stark in urbanen Wirtschaftsräumen: Mehr als ein Viertel aller Arbeitsplätze (d.h. Erwerbstätige nach Arbeitsort) befinden sich in Wien, ein weiteres Fünftel in den Landeshauptstädten Graz, Linz, Salzburg, Innsbruck und Klagenfurt.
Wien weist dabei ein deutlich positives Einpendelverhältnis auf: Auf 100 erwerbstätige Wiener:innen (d.h. Erwerbstätige nach Wohnort) kamen 2023 rund 124 Arbeitsplätze. In vielen peripheren Regionen wie etwa im Mühlviertel, im Waldviertel, der Südoststeiermark oder im Südburgenland ist das Verhältnis umgekehrt: Hier überwiegen Auspendler:innen, die in andere Regionen, häufig in Stadtregionen, arbeiten.
Unter diesem Link finden Sie den Pendlersaldo der Statistik Austria.
Zwischen 2013 und 2023 hat sich diese funktionale Konzentration weiter verschärft: Während die Zahl der Arbeitsplätze in Wien und in Graz um rund 15% stieg, stagnierte oder sank sie in vielen ländlichen Bezirken. Damit steigt die Abhängigkeit peripherer Regionen von urbanen Zentren, was zugleich das Verkehrsaufkommen erhöht. Zusätzlich spielt die Verfügbarkeit von Mobilitätsangeboten eine zentrale Rolle: Regionen mit guten Verkehrsverbindungen oder funktionierenden multimodalen Pendelstrukturen können strukturelle Nachteile teilweise kompensieren. Wo diese fehlen, verstärken sich Disparitäten. Pendlerströme sind daher ein wesentlicher Indikator für regionale Arbeitsmarktverflechtungen und ein Planungsparameter für Infrastrukturpolitik.
In der folgenden Grafik kann die Veränderung der Erwerbstätigen am Arbeits- und am Wohnort zur Darstellung ausgewählt werden. Erwerbstätige am Arbeitsort umfassen nur Personen mit Wohnort Österreich.
Teilzeitquoten mit signifikanten geschlechtsspezifischen Unterschieden
Parallel zur räumlichen Konzentration bestehen ausgeprägte geschlechtsspezifische Unterschiede. Zwischen 2013 bis 2023 stieg die Erwerbstätigkeit bei Frauen und Männern um etwa 10%. Frauen sind dabei weiterhin verstärkt in Pflege, Bildung, Verwaltung und Handel beschäftigt, während Männer weiterhin in Industrie und Bauwesen dominieren. Diese geschlechtsspezifischen Unterschiede reflektieren sowohl sektorale Spezialisierungen als auch Unterschiede in der regionalen Infrastruktur. [Indikator Wirtschaftsstruktur]
Bei der Teilzeitbeschäftigung ist der Unterschied besonders prägnant. Im Jahr 2023 arbeiteten 53% der unselbständig aktiv beschäftigten Frauen, aber nur 15% der Männer (aktiv unselbständig Erwerbstätige ohne Grundwehrdienst), in Teilzeit. Damit entfallen mehr als drei Viertel aller Teilzeitstellen auf Frauen. Regionale Unterschiede sind markant: In Wien liegt die weibliche Teilzeitquote mit rund 46% unter dem Bundesschnitt, in Oberösterreich und Tirol mit mehr als 57% deutlich darüber. Diese Differenzen lassen sich durch unterschiedliche Betreuungs- und Bildungsinfrastrukturen, branchenspezifische Arbeitszeitmodelle sowie Mobilitätsbarrieren erklären. In urbanen Regionen mit dichter Infrastruktur, kürzeren Arbeitswegen und einer größeren Vielfalt an Beschäftigungsmöglichkeiten ist eine Vollzeitbeschäftigung häufiger realisierbar. In ländlichen Regionen dagegen ist Teilzeit vielfach keine freiwillige Wahl, sondern Ausdruck eingeschränkter Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Für viele Frauen bleibt sie die einzige Option, Erwerbstätigkeit und familiäre Betreuungspflichten zu verbinden – mit langfristigen Folgen für Einkommen, Karriereverläufe und Pensionsansprüche.
Arbeitsmarkt unter doppeltem Strukturwandel: Demografie und Erwerbsformen
Damit zeigt sich, dass das österreichische Erwerbspotenzial von einem doppelten Strukturwandel betroffen ist. Einerseits führt der demografische Wandel zu einer Alterung und regionalen Polarisierung der Erwerbsbevölkerung, andererseits verändern sich Erwerbsformen, Geschlechterrollen und Arbeitszeitmodelle.
Für Raumplanung, Wirtschaftspolitik und Arbeitsmarktsteuerung ergeben sich daraus mehrere zentrale Herausforderungen. Erstens wird die Fachkräftesicherung zunehmend zu einer regional differenzierten Aufgabe: Während Ballungsräume weiterhin Zuwanderung verzeichnen und damit Wachstumschancen für den regionalen Arbeitsmarkt generieren, benötigen periphere Regionen vielfach gezielte Strategien, um das vorhandene Arbeitskräftepotenzial besser zu mobilisieren. Dazu zählen Maßnahmen zur Aktivierung von Frauen, Älteren und Personen mit Betreuungspflichten sowie ein stärkerer Fokus auf lebensbegleitendes Lernen und regionale Qualifizierungsangebote. Zweitens ist der Ausbau von Kinderbetreuungs- und Pflegeinfrastruktur eine grundlegende Voraussetzung, um Erwerbsbeteiligung und insbesondere Vollzeitbeschäftigung von Frauen zu erhöhen. Drittens erfordert die Sicherung von Erwerbschancen in ländlichen Gebieten den gezielten Ausbau von Verkehrsinfrastruktur [Indikator Erreichbarkeit] und Breitbandnetzen [Indikator Breitband], um beispielsweise Homeoffice zu ermöglichen, um Pendelbelastungen zu reduzieren und wohnortnahe Beschäftigung zu fördern. Schließlich sollte Gleichstellungspolitik als wirtschaftlicher Standortfaktor begriffen werden: Eine höhere Erwerbsintegration von Frauen, die Aufwertung von Care-Berufen und eine gerechtere Verteilung unbezahlter Arbeit stärken nicht nur die individuelle Chancengleichheit, sondern auch die gesamtwirtschaftliche Stabilität.
Langfristig hängt die Resilienz des österreichischen Arbeitsmarkts entscheidend davon ab, ob es gelingt, die demografisch bedingte Schrumpfung des Erwerbspotenzials durch höhere Erwerbsbeteiligung, gezielte Zuwanderung und eine nachhaltige Vereinbarkeitspolitik auszugleichen.
Datenquelle und Methodik
Die Bevölkerungsstatistik der Statistik Austria liefert Ergebnisse über Zahl und Struktur (Alter, Geschlecht, Staatsangehörigkeit) der österreichischen Bevölkerung. In der Statistik zählen Personen, die rund um den Stichtag für mehr als 90 Tage durchgehend mit einem Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet sind. Der aktuelle Datenstand für diese Quelle ist das Jahr 2025 (veröffentlicht am 26.05.2025).
Die Abgestimmte Erwerbsstatistik der Statistik Austria liefert konsistente Ergebnisse zur Erwerbsbeteiligung, Erwerbsstruktur und Erwerbsstatus der österreichischen Bevölkerung. Sie ermöglicht eine differenzierte Darstellung nach Merkmalen wie Alter, Geschlecht, Branche und Region. Der aktuelle Datenstand für diese Quelle ist das Jahr 2023 (veröffentlicht am 16.06.2025).